Trennungen sind, sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext, immer vielseitige und meist komplexe Prozesse. Bei jeder Trennung sind diverse Systeme beteiligt und verschiedene Trauerphasen vorhanden. Gleichzeitig braucht es einen formalen Trennungsprozess. Jede Trennungserfahrung ist jedoch einzigartig und immer mit einer individuellen Geschichte verknüpft, der individuellen Trennungsstory.
Von Richard Meyer und Karin Bernhard
Trennungsstory
Zu Hause angekommen, setze ich mich erst mal hin. Noch bin ich allein, meine Partnerin ist noch bei der Arbeit, meine Tochter kommt erst in etwa einer Stunde von der Schule zurück. Der Druck in meinem Kopf nimmt zu, mir ist übel. Ich bin geschockt, wütend, traurig, erstarrt und erleichtert. Erleichtert? Das kann doch nicht sein! Ich erlebe einen ambivalenten Gefühlsmix, der nur schwer zu fassen ist. Völlig ungläubig gehe ich gedanklich die letzten zwei Stunden nochmals durch.
Nichts deutete darauf hin, dass mir in Kürze die Anstellung gekündigt wird. Zu schön schien die Spätsommersonne durchs Bürofenster, als ich mich mit einer Kaffeetasse in der Hand zum «Jour Fixe» mit meinem Vorgesetzten in die zweite Etage begab. Es war wie immer, fast wie immer. Nur dass das Meeting seltsamerweise auf Mittwochnachmittag verschoben wurde.
Alles schien so vertraut, ich fühlte mich im sicheren Hafen, wie die Amerikaner vor Pearl Harbour. Mit diesem Gefühl trat ich ins Büro meines Vorgesetzten ein. Dort sass ein weiterer Kollege aus der Geschäftsleitung. Ich setzte mich nieder und hörte als Erstes «Guten Tag, wir haben entschieden, deine Stelle per 31. März zu streichen. Ich werde deine Funktion als Leiter HR künftig selbst übernehmen. Du bist ein teurer Mann, und wir müssen wegen des Wettbewerbs auf die Finanzen schauen, das verstehst du doch sicher …»
Das war ein Auszug aus meinem persönlichen Trennungsprozess. Viele haben eine solche oder eine ähnliche Situation ebenfalls schon einmal erlebt. Für die Unternehmung, die den Prozess durchführt, fängt alles schon viel früher an.
Der Beitrag des Unternehmens
Menschen streben nach Sicherheit. Trennungen von Mitarbeitenden beeinflussen nicht nur den Mitarbeitenden und das Team, sondern haben auch Signalwirkung nach aussen. Wie Betroffene die Trennung erleben und daran zurückdenken, wird massgeblich durch das professionelle Verhalten des Unternehmens, die Fähigkeit, einen möglichst fairen Trennungsprozess durchzuführen, beeinflusst. Definierte Abläufe und Prozesse, bei denen alle Beteiligten involviert sind, unterstreichen die Professionalität. Ein solcher Ablauf, der zur Stabilisierung aller führt, beinhaltet:
- Trennungsentscheid fällen
- Trennung sauber planen/vorbereiten
- Trennungsgespräch durchführen (Aussprache
der Kündigung)
- Gesprächsführung auf Augenhöhe
- Einfluss auf die Unternehmenskultur und das Firmenimage beachten
- Motivationsstory (Trennungsgrund, Ebene Unternehmen) vs. Trennungsstory (Ebene Betroffene)
- Emotionale Trennung einleiten (Kommunikation an Team, Abteilung, Unternehmung und Kunden)
- Formale Trennung durchführen (Korrespondenz, Regelungen, Checklisten)
- Trennung nachbearbeiten und betreuen
Damit die Trennungsschritte glaubwürdig sind, müssen Haltung und Kommunikation mit den Werten (Trennungskultur, Wertschätzung, Fairness, soziale und kommunikative Verantwortung) des Unternehmens übereinstimmen. Willkür, Schnellschüsse, Unklarheit und Wankelmut sollten vermieden werden.
Veränderung betrifft uns alle
Deshalb ist für den erfolgreichen nächsten beruflichen Schritt mein Umgang und die Identifikation mit meiner persönlichen Trennungsgeschichte entscheidend. Dazu gehört die Verarbeitung der damit verbundenen meist negativen Gefühle.
Erst dann kann eine authentische und glaubwürdige Trennungsstory entwickelt werden, die mir hilft, mich erfolgreich und nachhaltig neu zu orientieren. Und nicht vergessen: Es lohnt sich, sich wirklich genug Zeit für die Veränderung und einen Neubeginn zu lassen. Sich immer wieder selbst etwas Gutes zu gönnen (z.B. Ferien, Freunde treffen, Wellness, Sport, Kulturelles etc.).
Trennungsstory – der andere Elevator-Pitch
In einer authentischen Trennungsgeschichte gehe ich von meinen Gefühlen aus. Höre mir an, was mich bedrückt, was mich herausfordert, was mich überrascht. Nehme ich meine Gefühle im Moment des Trennungsprozesses nicht auf, gären sie vor sich hin, nähren Unfrieden und Unzufriedenheit. Wie der Sauerteig stecke ich in diesem Moment mein Umfeld an, das Team, das zurückbleibt, meine Freunde und Bekannten; schüre damit den Schatten, der auf das Unternehmen fällt. Das Erarbeiten der eigenen Trennungsstory unterstützt bei der Verarbeitung. Dazu gehört auch das Benennen der eigenen und fremden Anteile, die zur Trennung geführt haben. Beinhaltet die Learnings als entscheidenden USP bei der Neu- und Umorientierung.
Der Weg zur Trennungsstory
- Anerkennen: Zulassen der mit der Trennung verbundenen Gefühle
Ist es wirklich MIR passiert? Die Phase der Anerkennung braucht Zeit, damit die Gefühle Unsicherheit, Angst, unklare Grenzen, Wut, Verwirrung, Verlust etc. kommen dürfen. Es ist wie das Sammeln von Indizien am Tatort. In dieser Phase sind ein offenes Ohr und ein uneingeschränktes «Wahrgenommenwerden» wichtig. Menschen müssen mit ihren Gefühlen achtsam umgehen, um ein Ja zu finden, dass es ihnen passiert ist.
- Wertschätzen
In der Phase der Wertschätzung wird ein Dialog wieder möglich. Ich löse mich sozusagen aus der inneren Betrachtung und schaue nach aussen. Mache mir bewusst, was ich alles geleistet oder unterlassen habe. Höre mir an, was die anderen sagen. Ich brauche Gelegenheit und Sparringspartner, um mich selbst zu reflektieren und die Tatsache in Worte zu fassen.
- Auseinandersetzen
Im stillen Kämmerlein oder in Begleitung einer Fachperson stelle ich mir am Prozess beteiligte Personen realistisch vor. Sage ihnen unverblümt, was ich von ihnen und ihrem Verhalten halte. Schreibe zum Beispiel einen Brief. Prüfe, ob ich noch weitere Anklagepunkte finde. Wenn ich zufrieden mit meinem Werk bin, nehme ich den Brief feierlich und verbrenne ihn. Jetzt kann ich mich meinen Ressourcen widmen. Was kann ich? Was begeistert mich? Was möchte ich nicht mehr? Wo hole ich mir Ruhe und Sicherheit?
- Loslassen
Wertschätzen wir uns selbst und setzen uns ehrlich mit dem, was ist, auseinander, können wir im Hier-und-Jetzt ankommen. Wir können ehrlich loslassen und nicht mit gezogener Handbremse in den Bewerbungsprozess. Wir können vor den Firmentoren stehen und sagen: «Es ist gut, so wie es ist.»
- Trennungsstory entwickeln
Die Trennungstory ist kurz, wahr und glaubwürdig. Alle Fakten werden auf den Tisch gelegt. Sie ist nachvollziehbar, verständlich und verzichtet auf Gejammer oder das Einnehmen der Opferrolle. Dadurch wird auf konstruktive Weise sichtbar, was wir daraus gelernt haben. Weil wir unsere Emotionen aufgenommen und verarbeitet haben, können wir sachliche und fachliche Fakten zusammentragen. Wir können dazu stehen, wer wir sind, und werden wieder arbeitsfähig. Die Investition in die eigene Trennungsstory lohnt sich, weil sie die Schnittstelle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist. Neue Arbeitgeber profitieren davon, einen glaubwürdigen und geklärten Arbeitnehmer anzustellen. Die Einführung des neuen Mitarbeitenden wird einfacher und effizienter, und es müssen nicht zuerst emotionale Hürden abgebaut werden. Mentoring und Coaching können zeitlich reduziert und der Fokus auf die Neuorientierung gelegt werden.
Autoren
Richard Meyer ist Inhaber eines eigenen Beratungsunternehmens (www.richard-meyer.ch) in Wallisellen/ZH mit Fokus auf HR Interim Management und Karrierecoaching. Er ist zudem Geschäftspartner von CHRONOS Personalberatung GmbH in Wallisellen/ZH. Der gelernte Bau- und Wirtschaftsingenieur verfügt neben einem Master in Supervision & Coaching in Organisationen (IAP Zürich) auch über einen Abschluss als Integrativer Paarberater IBP.
Karin Bernhard will Menschen mit ihrer Lebensfreude anstecken und ermutigt sie, zu aktiven Lebensgestaltern zu werden. In ihrer Beratungsfirma (www.zeitraum-beratungen.ch) begleitet sie Menschen auf dem Weg zu sich selbst. Als Coach & Supervisorin BSO, Ausbildnerin und integrative Paarberaterin konzentriert sie sich auf die Biografie- und Laufbahnarbeit.
Publikation
personalSCHWEIZ Dezember 2019-Januar 2020 WORK+